Was können Illustrationen visualisieren, was Fotografien nicht können? Wie viele Unternehmen setzen auf Illustrationen in ihren Berichten? Und welche zusätzlichen Möglichkeiten bieten sich in der digitalen Umsetzung? Michael Szyszka ist freiberuflicher Illustrator mit Schwerpunkt in den Bereichen Editorial und Corporate sowie Lehrbeauftragter für Illustration. Wir haben uns mit ihm unterhalten.
Interview
In Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Malen nach Zahlen“ haben Sie 60 Unternehmensberichte hinsichtlich Quantität und Qualität der Illustrationen untersucht. Was hat Sie am meisten überrascht?
Besonders erstaunlich ist für mich die Tatsache, dass es doch recht viele Geschäftsberichte gibt, die illustrative Elemente verwenden. Aufgrund der Art und Weise, wie die Illustrationen in die Berichte eingebaut werden, kann jedoch von einer bewussten Integration in ein Gestaltungskonzept eher selten gesprochen werden. Viele Illustrationen haben lediglich eine dekorative Funktion oder tauchen nur dann als informative Bilder auf, wenn eine fotografische Abbildung nicht möglich ist.
Hinsichtlich der diversen Indizes bin ich vom TecDAX sehr positiv überrascht. Die Berichte im „technischen” Index weisen nicht nur die höchste Anzahl an Illustrationen auf, hier finden sich sogar die Meisten mit narrativem Mehrwert – der eigentlichen Kür illustrativer Bildsprache.
Wie viele der Unternehmen wagen sich an Illustrationen in ihren Geschäftsberichten?
Von den 60 untersuchten Berichten finden sich in über der Hälfte zwar illustrative Elemente, aber etwa ein Drittel davon besteht aus Piktogrammen und Infografiken. Desweiteren wurde etwa jede dritte Illustration wenig sinnvoll eingesetzt, sodass man deutlich von einer Dominanz der Fotografie reden kann. Nichtsdestotrotz zeigen sich in den letzten Jahren Tendenzen in Richtung Illustration, wenngleich große bzw. schnelle Umschwünge in dieser Sparte nicht erwartet werden können; schließlich sind innovative Gestaltungskonzepte, wie die zunehmend funktionale und auch gestalterisch-adäquate Aufbereitung von Online-Berichten ebenfalls erst seit wenigen Jahren ein Thema.
Welche Inhalte können Illustrationen in Berichten visualisieren? Und was leisten sie, was Fotos nicht leisten können?
Als größten Vorteil im Vergleich zur Fotografie hat die Illustration die Möglichkeit sowohl komplexe, als auch abstrakte und vor allem fiktive Inhalte zu visualisieren. Zudem sind Prozesse, z.B. Abläufe einer Liefer- oder Produktionskette viel klarer als Illustration zu erfassen, als über eine fotografische Darstellungsweise. Ein weiterer (nicht zu unterschätzender) Vorteil ist die Eigenständigkeit eines Illustrationsstils. Zwar gibt es auch sicherlich Fotografen mit einer eigenen „Handschrift“, jedoch fällt diese bei Illustration deutlicher auf und ist ebenfalls einfacher in ein bestehendes Gestaltungskonzept zu integrieren.
Gibt es spezielle digitale Anforderungen und Möglichkeiten für Illustrationen in Online-Geschäftsberichten?
Wie bei allen Online-Anwendungen mit Bildern, ist es wichtig, dass digitale Illustrationen im richtigen Farbraum und der richtigen Auflösung vorliegen, insbesondere für die diversen Medien, wie Tablets und Smartphones. Ich denke, die Gestalter von Online-Berichten sollten die fehlende Haptik des Papiers oder die Möglichkeit Sonderfarben einzusetzen in Form von digitalen Besonderheiten ausgleichen. Mit Animationen, Mouse-Over-Bildern, Kamerafahrten durch die Illus kann auf eine spannende Art kommuniziert werden. Besonders für Prozesse und Abläufe bietet das Digitale deutlich mehr Möglichkeiten als der gedruckte Bericht, weshalb Unternehmen, die mittlerweile nur noch online veröffentlichen, das eingesparte Geld in eine intelligente und adäquate digitale Bildsprachen investieren sollten, anstatt lediglich ein PDF zum Download anzubieten.
Was ist das größte Hemmnis für Illustrationen in Unternehmensberichten?
Die zuvor angesprochene Eigenständigkeit bestimmter Illustrationsstile ist neben ihrem Potenzial aus der Menge zu stechen gleichzeitig das größte Hemmnis, da diese (Eigenständigkeit) dem persönlichen Geschmack des Betrachters ausgeliefert ist. Zwar sollte die Entscheidung für einen bestimmten Illu-Stil begründet werden und zum Unternehmen bzw. dem Jahresthema des Berichts passen, Fotografie muss sich jedoch gegen deutlich weniger Zweifel behaupten.
Ein weiteres großes Hemmnis für Illustrationen sehe ich bei den Illustratoren selbst. Ich selbst kenne fast keine Kollegen, die in diesem Feld akquirieren oder ihr Portfolio auch in diese Richtung bestücken, um die entscheidenden Mitarbeiter der Agenturen und/oder Unternehmen davon zu überzeugen, dass Illustratoren in der Lage sind, die Inhalte eines Berichts zu visualisieren. Ich vermute, dass die eher zurückhaltende, passive Akquisestrategie vieler Illustratoren oder deren Desinteresse an den Themen der Unternehmenskommunikation ebenfalls dazu beiträgt, dass sich diese Art von Bildsprache nicht bereits stärker etabliert hat.
Wo liegt das größte Potenzial für die Unternehmen und ihre Berichte?
Unternehmen sind im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung einer starken internationalen Konkurrenz ausgesetzt, wodurch es umso wichtiger wird, kanalübergreifend ehrlich und deutlich zu kommunizieren und den eigenen Mehrwert Stakeholdern und Shareholdern zu vermitteln. In der Entscheidung für eine illustrative Bildsprache sehe ich das große Potenzial, aus der Masse hervorzustechen und veraltete Bildmotive in neue Bilder umzuwandeln; Bilder die jedoch nicht lediglich auffallen, sondern auch die richtigen Botschaften und Werte transportieren sollten.
Könnte sich hier ein Trend entwickeln?
Ich bin gespannt, ob sich die fotografischen Sehgewohnheiten weiterhin durchsetzen, oder ob sich die aktuelle Zunahme an Illustration in anderen Branchen zukünftig auch in der Unternehmens- und Finanzkommunikation widerspiegeln wird. Insbesondere in der digitalen Berichterstattung wird es zunehmend interessant zu beobachten, ob der Bereich der Infografik die Potenziale von Illustration und auch Interaktion erkennt. Ich werde mich jedenfalls weiterhin darum bemühen, die Stärken illustrativer Bildkonzepte in den vermeintlich „illu-skeptischen“ Unternehmensberichten zu etablieren.
Website von Michael Szyszka: www.zapfenstreiche.de
Interview: Eva Schneeweiß