Nutzung von Geschäftsberichten.

Statistiken bieten Einblicke in die Nutzung von Online-Geschäftsberichten deutscher Konzerne.

In der Masse von Studien und Literatur über Geschäftsberichte sucht man ein Thema vergebens: die quantitative Reichweite des Leitmediums der Finanzkommunikation wurde bislang nur selten untersucht. Mit Ausnahme qualitativer Stakeholder-Befragungen, die in aller Regel mit geringen Fallzahlen operieren und sich auf die Meinung von Analysten oder institutionellen Investoren beschränken, existieren keine Erkenntnisse über die Nutzung von Geschäftsberichten.

Gerade bei Print-Berichten ist die Reichweitenmessung mit erheblichen Problemen verbunden: Werden 10.000 Exemplare gedruckt und versandt, weiß am Ende trotzdem niemand, ob sie tatsächlich gelesen wurden, wie viele Karteileichen im Verteiler lagen oder welche Inhalte für die Rezipienten am interessantesten waren. Die Höhe der Auflage ist schlichtweg kein verlässlicher Indikator für die Reichweite und Nutzung der Berichte.

Im Web ist das erfreulicherweise etwas anders: Die Statistiken von Online-Berichten liefern Daten darüber, ob und wie Berichte im zeitlichen Verlauf genutzt werden. Diese Rohdaten gleichen zunächst einmal einem ungeschliffenen Diamanten – erst durch ihre Verdichtung und die Nutzung von Vergleichswerten gewinnen sie an Aussagekraft. Mit dem vorliegenden Research untersuchen wir in verschiedenen Analyseschritten erstmals die Nutzung der Online-Geschäftsberichte deutscher Konzerne im DAX und MDAX. Sämtliche Daten wurden mit den Webanalytik-Tools Piwik, Webtrends und Adobe Analytics erhoben.* Die Ergebnisse bieten nicht nur Einblicke in die Nutzung und Reichweite von Online-Geschäftsberichten sondern können auch zur Weiterentwicklung des Publikationsformats beitragen.

Ergebnisse

Hohes Interesse nach Freischaltung

Im ersten Analyseschritt haben wir uns die im Frühjahr 2016 veröffentlichten Geschäftsberichte von acht DAX-Unternehmen im Vergleich angesehen. Die Bekanntgabe von Jahreszahlen, Dividende, Prognose und Co. führt vor allem in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung erwartungsgemäß zu einem starken Interesse. Je nach Unternehmen entfallen in einem Jahr erfahrungsgemäß 10 bis 30 Prozent aller Zugriffe auf den Zeitraum der ersten 30 Tage.

Quantitativ gesehen kam ein 2015er Geschäftsbericht eines DAX-Unternehmen in den ersten 30 Tagen seit Veröffentlichung im Schnitt insgesamt auf 9.885 Besucher und knapp 40.000 Seitenaufrufe. Jeder Besucher schaute sich in diesem Zeitraum also durchschnittlich 4,0 Seiten an. Allein am Tag der Veröffentlichung erreichten drei DAX-Berichte dabei jeweils über 1.500 Besucher.

Die Reichweite des Berichts hängt in den ersten Tagen unter anderem auch vom Zeitpunkt der Veröffentlichung ab: Geschäftsberichte, die an einem Freitag „live“ gehen, werden aufgrund des bevorstehenden Wochenendes z.B. deutlich schlechter genutzt. Entscheidend ist außerdem, dass der Online-Bericht gleichzeitig mit dem PDF zur Bilanzpressekonferenz erscheint. Natürlich haben auch Verlinkung und Auffindbarkeit von der Corporate Website sowie die generelle Bewerbung des Online-Geschäftsberichts einen spürbaren Einfluss auf dessen Nutzung.

DAX-Berichte erreichen im Schnitt fast 90.000 Besucher im Jahr

Wie werden Online-Geschäftsberichte nun aber im Jahresverlauf genutzt? Geschäftsberichte sind stichtagsbezogene Referenz-Dokumente, die nicht nur zur Veröffentlichung, sondern je nach Bedarf von Stakeholdern immer wieder verwendet werden. Für unser Research haben wir uns deshalb auch die Statistiken der 2014er Geschäftsberichte von insgesamt zehn deutschen Konzernen im Detail angesehen – dabei handelte es sich um jeweils fünf DAX- und MDAX-Unternehmen.

Aufgrund ihrer Größe und Marktkapitalisierung stehen die Geschäftsberichte von DAX-Unternehmen natürlich besonders im Interessensfokus der Stakeholder. Es überrascht dementspechend wenig, dass sie in puncto Reichweite das Feld mit deutlichem Abstand anführen. Im deutschen Leitindex erreichte ein durchschnittlicher Geschäftsbericht im Jahresverlauf insgesamt 87.935 Besuche und 318.960 Seitenaufrufe. In der Spitze erreichte ein einzelner Bericht sogar 124.691 Besuche und über 400.000 Seitenaufrufe.

Die 2014er Online-Berichte der MDAX-Unternehmen erreichen pro Jahr dagegen durchschnittlich 14.686 Besucher und 63.238 Seitenaufrufe. Mit 4,3 Seitenaufrufen pro Besucher werden die MDAX-Berichte also im Schnitt sogar etwas intensiver genutzt als die DAX-Berichte (3,6 Seitenaufrufe). Mit einigen Ausreißern nach oben wie nach unten fällt insgesamt auf, dass die quantitative Reichweite der Unternehmensberichte in beiden Indizes jeweils mehr oder weniger nah beieinander liegt.

Reichweitendaten von Geschäftsberichten im DAX und MDAX
(n=10; 513.102 Visits; 1.910.988 Page views)

Reichweite von Online-Geschäftsberichten

Englischer Bericht wird stärker genutzt

Die starke internationale Ausrichtung deutscher Konzerne und ihrer Stakeholder wirkt sich indes auf die Nutzung ihrer Geschäftsberichte aus: Mit einer Ausnahme wurde in allen untersuchten Fällen die englischsprachige Berichtsversion stärker genutzt als die deutsche – eine Tendenz, die wir in diesem Research zum ersten Mal so deutlich feststellen. Der mehrheitliche Anteil ausländischer Investoren an DAX-Unternehmen macht sich besonders bei der Nutzung der Berichte im deutschen Leitindex deutlich: Bei den DAX-Unternehmen entfielen durchschnittlich 63,2 Prozent, bei den MDAX-Unternehmen immerhin 56,0 Prozent aller Zugriffe auf den englischen Online-Geschäftsbericht. Manch ein Unternehmen wird sich angesichts dieser Entwicklung fragen müssen, ob es perspektivisch nicht sinnvoll ist, die englische Sprachversion zur „Lead-Sprache“ auszubauen.

Verteilung der Besucher auf Sprachversionen (n=10; 513.102 Visits)

Nutzung von Geschäftsberichten - nach Sprachen

Geschäftsberichte sind Referenz-Dokumente

Naturgemäß sind Geschäftsberichte keine besonders aktuellen Publikationen. Als abgeschlossene Momentaufnahmen beziehen sie sich auf die Unternehmensentwicklung in einem fest definierten Zeitraum, der in der Vergangenheit liegt. Ihre Fülle von Informationen ist strenggenommen bereits bei Veröffentlichung veraltet. Stakeholder nutzen einen Geschäftsbericht deshalb unterjährig vor allem als stichtagsbezogenes Referenz-Dokument. Es wird davon ausgegangen, dass viele Stakeholder mehr als einmal im Jahr auf den Bericht zugreifen. Gleichzeitig können die Berichtsinhalte durch aktuelle Entwicklungen ganz plötzlich wieder an Aktualität gewinnen – sie besitzen eine sogenannte „latente Aktualität“.

Neben einer hohen Nutzung in den ersten Tagen nach Veröffentlichung zeigen die von uns erhobenen Daten dementsprechend eine relativ kontinuierliche Nutzung im Jahresverlauf. Die untersuchten DAX-Berichte zählen 241 Besucher, die MDAX-Berichte 40 Besucher pro Tag – allerdings nur im Durchschnitt. Anhand des wellenförmigen Verlaufs in der nachfolgenden Abbildung erkennt man beispielsweise deutlich, dass Geschäftsberichte an Wochenenden offenbar nur selten als private Lektüre genutzt werden. Im tatsächlichen Jahresverlauf erkennt man außerdem gewisse Peaks bei der Nutzung von Online-Berichten: Bei vielen Unternehmen steigen etwa mit der Veröffentlichung der Zwischenberichte auch die Zugriffe auf den Geschäftsbericht – wahrscheinlich, weil einige Stakeholder die Quartalszahlen im Kontext der Jahresentwicklungen einordnen möchten. Mitunter lassen sich Peaks aber auch auf ein plötzlich gestiegenes (mediales) Interesse an einem Konzern zurückführen. In den letzten Jahren haben wir oft festgestellt, dass die Zugriffe auf Geschäftsberichte steigen, wenn sich das Unternehmen in einer akuten Krise befindet. In Krisenzeiten gewinnt der Geschäftsbericht als Unternehmenspublikation offenbar besondere Relevanz.

Nutzung von Geschäftsberichten im DAX und MDAX im Jahresverlauf – 365 Tage
(n=9; 393.402 Visits)

Nutzung von Geschäftsberichten im Jahresverlauf

Fokus auf Fakten

Eine besonders interessante Frage beantworten wir abschließend: Welcher Berichtsteil eines Geschäftsberichts wird am stärksten genutzt? In der Analyse ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten; der Aufbau von Geschäftsberichten folgt nicht immer einem vergleichbaren Muster: Auch wenn die gesetzlichen Anforderungen für alle Unternehmen gleich sind, werden Geschäftsberichte mitunter sehr unterschiedlich strukturiert, was uns die Analyse erschwert. Wir haben uns deshalb auf fünf Berichte konzentriert, die sich im Aufbau sehr nah an den klassischen Kapiteln eines Geschäftsberichts orientieren. In der Auswertung unterscheiden wir dabei zwischen Aktionärskapitel, Lagebericht, Corporate Governance (-Bericht), Abschluss, Anhang, Magazininhalten und sonstigen Berichtsinhalten (z.B. das Impressum).

Unsere Ergebnisse zeigen, dass – relativ gesehen – der Großteil aller Seitenaufrufe auf den Lagebericht entfallen: Das „Herzstück“ eines Geschäftsberichts konzentriert 38,5 Prozent und damit weit mehr als ein Drittel aller Seitenaufrufe. An zweiter Stelle folgt mit 25,5 Prozent der Konzernabschluss, der sich aus dem Jahresabschluss (13,1%) und dem Anhang (12,4%) zusammensetzt. Auf das Aktionärskapitel (unter das wir neben Vorstandsbrief und Aktienkapitel auch generelle Informationen zum Unternehmen summiert haben) entfallen ebenfalls mehr als ein Fünftel aller Seitenaufrufe (22,7%).

Verteilung der Seitenaufrufe nach Berichtskapiteln (n=5; 800.958 Page views)

Nutzung von Geschäftsberichten nach Kapiteln

In diesen Zahlen spiegelt sich eindeutig der Interessensfokus klassischer Berichtsrezipienten wider: Informationen, Zahlen und Fakten stehen im Vordergrund. Der Magazinteil wird mit einem Anteil von 6,5 Prozent zwar durchaus genutzt, allerdings längst nicht so stark wie die klassischen Berichtskapitel. Unterboten wird das Magazin nur noch vom Corporate Governance Bericht (3,8%) und sonstigen Informationen (3,1%).

Fazit

Diese Zahlen sprechen genau gegen den Trend, der sich bei einigen Online-Geschäftsberichten deutscher Unternehmen manifestiert hat: die aufwändige, interaktive Aufbereitung des Magazinteils, während klassische Berichtsteile wie Lagebericht oder Anhang nur noch als PDF zum Download zur Verfügung stehen. Online-Geschäftsberichte haben keine grundsätzlich anderen Zielgruppen als die gedruckte Version oder das PDF. Sind zentrale Teile des Berichts online nicht enthalten, hat das dementsprechend negative Auswirkungen auf die Nutzung und Reichweite der Berichte. Nach unserer Erfahrung werden insbesondere Berichte, die nur den Imageteil in HTML aufbereiten, so gut wie nicht genutzt – wahrscheinlich auch deshalb, weil sie von Stakeholdern schlichtweg nicht als vollwertige Berichte anerkannt werden.

Die Ergebnisse verdeutlichen insgesamt den oft unterschätzen Stellenwert von Online-Geschäftsberichten: Mit durchschnittlich fast 90.000 (DAX) bzw. über 10.000 Besuchern (MDAX) pro Jahr liegt die Reichweite von HTML-Geschäftsberichten bereits heute deutlich über der durchschnittlichen Druckauflage von Print-Berichten in den zentralen deutschen Aktienindizes. Online-Berichte erreichen dabei auch Nutzer, die über Suchmaschinen nach Unternehmens- oder Branchenentwicklungen recherchieren. Im Schnitt erreicht etwa jeder dritte Besucher einen HTML-Bericht über Google und Co.

Letztlich unterstreicht unser Research, dass sich Geschäftsberichte in vielen Punkten von anderen Unternehmenspublikationen unterscheiden. Vor allem den Charakter des Berichts als Referenz-Dokument müssen Unternehmen erkennen und verstehen: Der Geschäftsbericht wird nicht (nur) zur Veröffentlichung genutzt, sondern er ist ein auf Dauer angelegtes Projekt mit Rechenschaftscharakter, bei dem Neuigkeitswert und Aktualität eine ganz andere Bedeutung haben. Auch Jahre nach Veröffentlichung werden Online-Berichte noch unregelmäßig verwendet – wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. Genau diese zentrale und langfristige Anlage der Publikation macht den Geschäftsbericht letztlich zum Leitmedium der Finanzkommunikation.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Research-Reihe „Nutzung von Online-Berichten“:

Teil 1: Nutzung von Quartalsberichten
Teil 2:
Nutzung von Geschäftsberichten in Deutschland
Teil 3:
Annual report statistics of FT Europe 500 companies

* Die Nutzungszahlen wurden von nexxar ausschließlich mit Piwik erhoben und entsprechend bereinigt. Zwei DAX-Unternehmen haben uns zudem Statistiken ihrer Online-Berichte für unser Research zur Verfügung gestellt, die mit Webtrends bzw. Adobe Analytics erhoben wurden. Die Stichprobe zu den Geschäftsberichten 2015 wurde am 23.06.2016 nochmals um ein Unternehmen ergänzt.

Download als PDF: Nutzung von Geschäftsberichten in Deutschland

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